Igel Toastmasters Club Buxtehude
Igel Toastmasters Club Buxtehude

Aus dem Hamburger Abendblatt


Reden, ohne rot zu werden


Von Bianca Wilkens 25. Mai 2009, 03:32 Uhr


Abendblatt-Autorin Bianca Wilkens hat sich getraut: Im Kulturforum am Hafen hat sie ihre Rhetorik-Kenntnisse auf Vordermann gebracht.


Die ersten "Toastmasters" gab es schon vor 85 Jahren. Meine Hände zittern etwas, als ich das braune Rednerpult umklammere. Die Röte steigt mir ins Gesicht. Gleich werden sich vor Aufregung hässliche rote Quaddeln auf meinem Hals bilden. Tief einatmen und in neun Augenpaare schauen. Immerhin, das funktioniert. "Liebe Gäste und Mitglieder", sage ich. Dann drehe ich mich zu Mona Schlesselmann, der Vizepräsidentin der "Igel-Toastmasters", und nicke ihr zu. "Frau Toastmaster." Alberne Anrede. Aber so muss man hier eben traditionell einen Vortrag beginnen.

 

Heute ist "Toastmasters"-Abend im Kulturforum am Hafen in Buxtehude. Auf dem Programm: Rhetorik, Rhetorik, Rhetorik. Die Mitglieder des "Igel-Toastmasters"-Clubs üben das freie Sprechen vor Publikum. Ohne Lehrer. Nur mit Buch. Darin steht, wie die Clubmitglieder etwas auf den Punkt bringen, wie sie ihre Körpersprache einsetzen. Die "Toastmasters" lernen zu belustigen, zu überzeugen - eben eine gelungene Rede zu halten. Eine von ihnen bin ich - zumindest für diesen Abend. Vier bis sechs Minuten habe ich Zeit, um mein Berufsleben vor den fremden Leuten auszubreiten - und um Kapitel eins des Handbuches "Kompetente Kommunikation" zu bestehen. Alle möglichen Berufssparten sind hier vertreten - Psychologen, Lehrer, Steuerberater, Zauberer. Die Hemden gebügelt. Der Lippenstift nachgezogen. Tische in Hufeisenform angeordnet.

 

Ich schaue meinen Mitstreitern in die Augen. Sie werden gleich alles bewerten, was ich von mir gebe.
Jens Puller, der dem Rednerpult gegenüber sitzt, misst die Zeit. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine gelbe Stoppuhr. Direkt dahinter hat er eine kleine Lampenreihe aufgestellt. Damit signalisiert er mir und den anderen Sprechern, ob sie ihre Redezeit einhalten. Der Mann mit dem gestreiften Hemd schaut mich vielsagend an, bringt seine Ampel zum Leuchten und erklärt: "Bei grün geht es los. Gelb heißt, die Zeit läuft aus. Rot bedeutet: leider überzogen." Jutta Wacker, eine dunkelhaarige Frau in hellblauer Bluse, zählt die Lückenfüller, nämlich alle ähms, ähs und öhms. Matthias Pfeifer, ein leicht ergrauter Herr mit Brille, achtet auf den Sprachstil. "Hier wird keiner disqualifiziert", hatte mein Tischnachbar Henning Köhlert, der Zauberer, zu Beginn des Abends noch gesagt. Aha.

 

Doch er hatte Recht. Das zeigt die erste Stunde des Abends, die ich verfolgen kann, bevor ich mit meiner Rede an der Reihe bin.

 

Immer wieder gibt's Applaus, als Vizepräsidentin Mona Schlesselmann die Sitzung eröffnet. Wieder Applaus, als sie ihre Rede beendet hat. "Wir klatschen immer, um uns Mut zu machen", sagt Köhlert. Sympathisch.

 

Dann die Vorstellungsrunde. "Welches Tier ist Euer Lieblingstier?", fragt Schlesselmann und bittet um eine Antwort in nur einem Satz. Die erste Teilnehmerin bringt ihre Katze in einem Satz unter und formuliert sauber. Beim dritten, der zu Wort kommt, klappt es mit dem einen Satz schon nicht mehr. Bei mir auch nicht.

 

Tagesordnungspunkt drei: Stegreifreden. Die Mitglieder bekommen ein Thema vor die Nase gesetzt und müssen darüber in zwei Minuten eine möglichst überzeugende Rede aus dem Ärmel schütteln. Händeschütteln und wieder Applaus für jeden, der das Wort ergreift. Obstbauer Jörn Feindt referiert über alte Turnschuhe, schweren Muskelkater und wie man Coach-Potatoes davon überzeugt, dass Sport glücklich macht. Sprachschulleiter Hans Peter Lütjen-Dageförde spricht über den offenen Hosenstall der Bundeskanzlerin Angela Merkel bei "Gipfel 41". Der Mann hat die Lacher auf seiner Seite.

 

Jetzt wird es ernst: Ich habe nur noch einen Redner vor mir - wieder Jörn Feindt. Ich bin zu nervös, um noch zuhören zu können. Hektisch wühle ich in meinen Zetteln.

 

Es kann losgehen. Die anderen klatschen laut. Händeschütteln. Ich beginne meine Rede mit einem Regelverstoß gegen Regel Nummer 1 der so genannten "Eisbrecher-Rede". Im Handbuch heißt es: "Jede gute Geschichte benötigt einen klaren Anfang. Formulieren Sie einen interessanten Einleitungssatz und verwenden sie ihn auch dann, wenn Ihnen im letzten Augenblick ein noch besserer Gedanke einfällt."

 

Mir fällt ein besserer Gedanke ein und ja, ich ändere meinen ersten Satz. Allerdings war es ein richtiger Schritt wie ich später merke. Mit "Es war der wichtigste Termin des Jahres und ich habe ihn vermasselt" beginne ich meine Rede. Es kommt etwas holprig über die Lippen. Aber die Redekünstler spitzen die Ohren. Wer hört nicht genau zu, wenn jemand seine Pleiten offenbart? Ich erzähle also von meiner beruflichen Panne im Volontariat bei einer kleinen Tageszeitung in Niedersachsen. Von meinem Artikel über ein Schützenfest, das so, wie ich es beschrieb, nie stattgefunden hat. Da die Zeitung vor Ende des Festes in den Druck ging, sollte ich damals den Ausgang der Feier erahnen und hielt mich bei der Beschreibung an die Programmpunkten. Ein Fehler. Denn in dem Jahr warf ein überraschender Platzregen die Festplanung über den Haufen. "Oh", entfuhr es den "Toastmastern". "Seitdem habe ich nie mehr über etwas geschrieben, was ich nicht gesehen habe", beruhige ich die Zuhörer.

 

Ich komme langsam in Fahrt und erzähle von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, den ich für einen Radiosender zum Thema Homosexualität befragen musste. Von Interviews mit Lkw-Fahrern, Tattoo-Freaks und Demenzkranken. Ich vergesse völlig den Zeitmesser Jens Puller mit seiner Lampenampel.

 

Plötzlich hakt es. Eigentlich möchte ich über meinen alten VWKäfer reden, der mich zu meinen Terminen fahren sollte, aber ständig streikte. Doch alles ist leer im Kopf. Die Sätze wollen mir nicht über die Lippen. "Mein Käfer sprang oft nicht an, blieb liegen." Neuer Versuch: "Mein grüner Käfer sprang oft nicht an." Und noch mal: "Er sprang an der Kreuzung nicht an. Er blieb liegen." Mist. Es ist wie ein Sprung in einer Schallplatte.

 

Die Lampe blinkt. Rot. Ich stammele noch etwas und schließe dann mit: "Das reicht jetzt." Schlechter Satz, denke ich. Aber es ist vorbei. Erleichtert gehe ich zurück zu meinem Stuhl. War gar nicht so schlimm. Aber ich erziele einen traurigen Rekord: 33-mal ähm, 9-mal äh, 13-mal also. Die Bilanz der anderen kann sich dagegen sehen lassen. Jens Puller hat lediglich viermal ähm, äh und also in seine Rede eingestreut, Hans-Peter Lütjen-Dageförde fünf Mal. Dennoch: Das Feedback von "Igel- Toastmasters"-Präsidentin und Psychologin Astrid Grosse-Mönch ist liebenswürdig. Das Eis sei wirklich gebrochen, urteilt sie. "Perfekte Anrede, humorvoll, spannendes Leben, Interesse gewonnen und gehalten." Die Rede mit einer Pannen-Episode zu beginnen, sei gelungen. "Wenn etwas schief läuft, hört man es sich ja gerne an."

 

Dann die Kritik: "Der Knalleffekt zum Schluss fehlte." Und: "Vielleicht solltest Du Dir ein bisschen mehr Zeitmanagement vornehmen." Komisch. Das hatte mir meine Lehrerin in der zehnten Klasse auch schon gesagt.

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